Freitag, 9. April 2010

Ich wäre gerne Kunstscout in Afrika.

(Dieser Text wurde hier inspiriert und war ursprünglich nur als launiger Kommentar gedacht, weitete sich dann aber aus und... wurde überhaupt ein verwandelter.)


Im westlichen Schwarzafrika, um genauer zu sein. Ich würde durch die Randbereiche der dem Besucher so verwahrlost erscheinenden, dabei nur anderswie organisierten Städte ziehen und versuchen, die auch dort etwas Sonderlichen aufzuspüren, die mit "naivem" Blick und irgendwie primären Anwandlungen, die, die über all ihr Zuviel an Zeit auf seltsam abirrende oder eben schon immer ihnen eigene ästhetische Wege gekommen sind und irgendwas oft Verblüffendes aus ihren inspirierten Händen und Geistern schaffen: Künstler, die keiner kennt. - Von unserer Kunstmoderne übrigens, die sich ihrerseits ausführlich dort bedient hat, haben diese Leute oft einen überraschend genauen und aktuellen Begriff. Und überhaupt begegnet sich in der Unmittelbarkeit des inspirierten Materials, in der Beseeligung des genauen Blicks alle Kunst - das braucht bei dahin Talentierten nicht viel Vermittlung und noch viel weniger Medien.

Vielleicht viel mehr als nach den Traditionen der Nachbildungen der Objekte für irgendwelche Ahnenkulte, würde ich nach umgeformten Holzresten aus ehemaligen Obstkisten suchen, nach "Ich-war-eine-Dose"-Transformationen vom Müllhaufen aus ihrerseits wieder exotischen Herkünften, oder nach fragilen Biegungen aus Draht, in denen Vogelfedern wie Saiten schwingen oder plattgehämmerte Metallreste mit verblüffenden Farbgebungen die Vogelwelt wiederum animistisch zu bereichern versuchen. Nach Objekttranszendenz. Nach Dingen linkshändig ihrer Umgebung.

"Der Mensch" stammt ja angeblich aus Afrika, und hier kippt er auch neuerdings immer mehr von seinem Müll wieder hin. Doch hat das natürlich, wie so oft bei den kurzfristigen Menscheninteressen, allerdümmste Gründe. Und scheint zugleich manchmal seltsam vernünftig, denn: Woher sollen die Kräfte der Verwandlung des Totgemachten denn kommen, wenn nicht von den Abgehängten und Ausgeplünderten, die noch genug Zeit haben, denen die anderen noch genug Seele zuschreiben, das Verunlebendigte neu zu beatmen? Wird die Substanz nicht wiederbelebt, kann sie sich nicht verwandeln. Es bewahrte aber sozusagen erst die Verwandlung die Lebendigkeit aller Idee.

Die aber, die im materiellen Überfluss leben, sind längst wie zugeschissen davon und übersatt und dämmern ihrer Degeneration entgegen, und womöglich gibt es so was wie eine Rache der malträtierten mater materia: die natürlichen Abstoßungsreaktionen von Ekel scheinen mittlerweile verlernt, und so hängen ganze Kulturen fest in ihren ebenso toten wie totalitär gewordenen materiellen Zwängen. Es gibt Unmengen von glitzernden Dingen, die sogar oft technisch-spiritistisch belebt daher kommen, doch ist ihr Gebrauch eher uninspiriert: Zunehmend drahtlos und doch an Masse gelegt, drücken alle auf die selben Knöpfe. Gegenstände ohne Bewusstsein haben keine Welt.

Erst herausgenommen aus seinem Status als black box aber wird das Ding, im Spiegel eines Interesse, zum Objekt, das sich ergründete. Und hergenommen zu seinem Rand, als seine eigene Grenze zum Gegen-Stand, potenzierte sich auch das Bewusstsein zu dem belebten Apparat-Ding, das von sich kündete: Ich habe nicht daran gedacht, aber das Ding, es hat daran gedacht. In der wechselhaften Aspekthaftigkeit nämlich seiner Parallel-Existenz, als Wahr-Nehmungsgegenstand ein quasi-Selbst und dadurch immer wieder neu zu bestimmende Identität eines idealen Grenzfalls. Das ist die weiße Ding-Dämonie, die erledigt: Un-Ding, das zu Ende gehende Licht, "tot sein zu müssen, um die Dinge nackt zu sehen" (Simone Weil). Die schwarze Ding-Dämonie muss immer etwas übrig lassen.

Ich, ich würde nach Menschen Ausschau halten, die geduldig unsinnige Dinge sammeln, um geduldig unsinnige Dinge herzustellen, alles, um daraus sinnenreiche Umgestaltungen vorzunehmen, solche, die die einen wahrlichen Ersatz für den Mangel an sonst überall in der Welt überflüssigen Dingen darstellen, von deren Abwesenheit man bisher nicht einmal ahnte: Die Höherwertigkeit des armen aber unikaten, des synkretistisch aufgeladenen, des beatmeten Objekts.

Das Ding sei als Ding ja ein Selbst, habe Eigenbehauptung darin, wie es sich von anderen Dingen unterscheide und zu einem An-sich werde, vergleichbar der Dingwerdung der Dingesdinge, des Krugs, Geschenk des Gusses, als strahlende Lichtung im Wesen von Himmel und Erde, Hochzeit und Trank, die eigentliche Labe, gefaltet in eine Trias aus Spiegel und Spange, Buch und Bild, Krone und Kreuz, synkopisiert alliteral alemannisch und durch Konjunktivformen gelüftete Asperage, wovon es märchenhafterweise in unserer Muttersprache 7 Stück gäbe. (So Heideggers Glossomorphie [in der Paraphrase Herburgers]. Und so sehen es die Afrikaner ja auch. Nur anders.)

Nach und nach würde ich sogar lernen, die karnevalesken Bürokratien in diesen Ländern hinzunehmen, die eher eine potemkinsche Ablenkung, eine Art Schadenszauber in diesen ansonsten so desorganisierten Staaten darstellen. Ich würde sie schließlich durchschauen und einsehen, wie eine Ausfuhrgenehmigung für ein Ding ohne bezifferbaren Wert selber etwas Dadaistisches ist, ein atavistischer Akt, der eben ein ritualisiertes Beschwörungsdingsbums benötigt, mit dem Plazet von bisher nicht einmal bekannten Abteilungen in bisher nur als Hörensagen sich verlaubarenden Ministerien: Auf einmal sind sie alle da und wollen was zum Stempeln! Sie bestehen darauf! Aber wahrscheinlich ist das eben eine Art Absegnung der Großen Versammlung, und sie wäre ja ihrerseits auch wichtig, und so beugte sie sich willig also über ein verwunderlich minderwertiges Ding, von dem sich die Ideen wiederum potenzieren müssten. Kein Wunder, dass man dem weißen Mann misstraut! Doch wenn die Geister günstig gestimmt sind, wird am Ende immer jemand bereit sein, auch alle Vorschriften eher erfinderisch auszudeuten. Und gemeinsam werden wir drüber lachen. Es ist, wie Mamadou immer sagt: Nous sommes tous les africaines!

Und letztlich hätte ich auch zuhause nur einen ansonsten leeren Laden, so einen großen Parterrekarton mit viel Weiß und viel Fläche und ein paar Stelen und ein paar Strahlern und einem großen Schaufenster, alles, was nicht einmal als Galerie oder Kunst-Irgendwas firmieren müsste, sondern diese Dinge nur in die Welt bringen wollte, sie in ihrer heiklen Balance zeigen, am liebsten dem passantisch Übereilten, der keine Zeit hat, den Augenschein abzuwehren und also noch in der Verspätung seines Hirns zurückkommen muss und sich die Nase platt drückt - und nie mehr recht aufhören kann sich zu wundern. Ich wäre gerne Kunstscout in Afrika. Genauso ist mir das nämlich selber das erste Mal mit diesen Dingen passiert.

 

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